05 Mai 2006

Sucht

Ärztestreik. Hausärztlicher Notdienst. Viele Patienten. Rezeptwünsche. Aber vor allem AUs. Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen. An diesem ersten schönen Tag im Jahr.

Dazwischen ein älteres Paar. Gut situiert. Gut gekleidet. Allerdings ist sie eher wortkarg. Sieht irgendwie zu "aufgemacht" aus.

"Nur ganz schnell dazwischen, wir brauchen ein Rezept. Dauert nicht lange." Ach so?

Worum gehts denn? Er nennt den Namen. "Leider ist die Packung gerade heute zuende gegangen. Schreiben Sie doch bitte eine große auf." sagt er ganz freundlich.

Leider hat der Arzt das schon zu oft erlebt. Daß er doch bitte eben eine große Packung Schmerzmittel, Hustenblocker, Schlafmittel, Sedativa, Antidepressiva aufschreiben möge. Denn man fahre morgen in den Urlaub. Oder der Vater litte so unter Schmerzen. Man sei bestohlen worden. Und gerade heute habe der Arzt ja geschlossen.

"Temazepam" ist ein suchtauslösendes Beruhigungsmittel, daß man jetzt nicht verschreiben werde, daß wahrscheinlich auch der Haus-Neurologe nicht aufschreiben würde, erklärt der Arzt. Das wissen die beiden natürlich. Aber sie empören sich. Wie immer. Freundlich fangen solche Gespräche an. Zu freundlich vielleicht. Später Empörung. Beschimpfungen manchmal. Was man denn für ein unmenschlicher Arzt sei. Ob man keinen Eid geschworden habe zu helfen. Wessen man die Bittsteller wohl verdächtigen würde. Ein Unding, das man melden werde. Unverschämte Frechheit.

Meist beruhigt sich die Situation wieder, wenn man einen Kompromiss anbietet. Eine Tablette Oxazepam für die Nacht, zum Beispiel. Wieder freundlich: Ob man nicht gleich zwei haben könne.

Diesmal hat sich der Besuch für die Beiden nicht gelohnt. Aber man kanns ja später nochmal versuchen. Oder nächstes Wochenende.

Irgendwann sitzt wieder ein gutgläubiger Anfänger hier.



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Koma

"Hilflose Person hinter verschlossener Tür"

Der Arzt fand zwei hilflose Personen, nachdem die Tür aufgebrochen worden war: Den etwa 70-jährigen Vater und seine etwa 40-jährige Tochter.

Beide bewußtlos, aber spontan atmend. Beide in ihren Betten. In einer kühlen, dunklen Altbauwohnung, in den ersten Wintertagen zu Beginn der Neunziger.

Seltsam: Neben dem Bett des älteren Herrn fand sich ein Eimer mit etwas Erbrochenem. Auf dem Nachttisch eine geöffnete Ampulle MCP, was auf vorangegangene Übelkeit und die Anwesenheit eines hausärztlichen Notdienstes schließen ließ.

Weiteres war nicht in Erfahrung zu bringen. Wie lange die beiden schon dort lagen. Was geschehen war. Ein kollektiver Suizid? Vergiftung durch Lebensmittel? Alles blieb unklar.

So verbrachten der Arzt und die Feuerwehr die beiden in verschiedene Krankenhäuser. Die Intensivstationen blieben in telephonischem Kontakt. Möglicherweise würde einer der Beiden aufwachen und berichten können.

Auch die Labordiagnostik und ein Neuro-Konsil brachten keine weiterführende Hinweise.

Stunden später erwachte dann aber die Tochter im Nachbarkrankenhaus. Und berichtete über die Probleme des Vaters am Vortag. Schwindel, Übelkeit und Kurzatmigkeit habe er verspürt. Immer müder sei er geworden. Der Notdienst habe aber nichts gefunden und nur eine Spritze gegeben. Und dazu noch die kalte Wohnung. Wintereinbruch. Beide hätten den Kohleofen nicht recht zum Laufen gebracht.

Damit besteht ein Verdacht, der sich durch den HbCO-Wert bestätigt: Kohlenmonoxid-Vergiftung.

Und damit erklärt sich auch die rosige bis dunkelrote Hautfarbe, ungewöhnlich gesund wirkend bei Komatösen und die tiefe Atmung.

Rästelhaft bleibt, warum in der Wohnung kein Rauchgeruch oder ähnliches aufgefallen war. Vielleicht hatte man sich doch zu sehr auf die komatösen Patienten konzentriert?

Später legte die Feuerwehr den Kohleofen still.


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